Im Folgenden werden die für die Schulen relevanten technischen und damit zusammenhängenden pädagogisch-didaktischen und gesellschaftlichen Entwicklungen aufgezeigt. Die technischen, gesellschaftlichen und pädagogisch-didaktischen Entwicklungen gehen meist co-evolutionär Hand-in-Hand. Sie sind die Grundlage für das im nächsten Kapitel entworfene Orientierungsbild. In diesem Kapitel sind die folgenden Entwicklungen detailliert zusammengetragen:
Solange diese Entwicklung in Gange ist, bleibt die Art und Weise, wie ICT in der Schule eingesetzt wird und diese mitprägt, in ständiger Veränderung. Eine nachhaltige ICT-Konzeption sollte deshalb dynamisch, mobil und offen sein, sowie regelmässig überprüft und aktualisiert werden. Die ICT-Konzeption ist als agiler Prozess zu gestalten.
(Abb. 4.1 Studien zur nächsten Gesellschaft)
Der Strukturwandel durch die Digitalisierung, der bereits viele Bereiche des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens erreicht hat, wird kaum Halt machen vor den Schulen. Zur Zeit ist dieser Strukturwandel sehr eindeutig in der Medienbranche wahrzunehmen. Wenn auch mit Verzögerung ist in den nächsten Jahren auch im Schulbereich mit einem weiteren Strukturwandel zu rechnen. Zur Zeit besteht keine Einigkeit darüber, wie dieser Strukturwandel aussehen wird. Es ist zu erwarten, dass er die Schulen mit ähnlicher Überraschung treffen wird, wie es in anderen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereichen bereits geschehen ist.
Der aktuellen „National Education Technology Plan“ der USA vom November 2010 beschreibt dies im Kapitel „Rethinking Basic Assumptions“ wie folgt: „The last decade has seen the emergence of some radically redesigned schools, demonstrating the range of possibilities for structuring education.“ … „One of the most basic assumptions in our education system is time-based or “seat-time” measures of educational attainment.“ … „Another basic assumption is the way we organize students into age-determined groups, structure separate academic disciplines, organize learning into classes of roughly equal size with all the students in a particular class receiving the same content at the same pace, and keep these groups in place all year.“ … „These include schools that organize around competence rather than seat time and others that enable more flexible scheduling that fits students’ individual needs rather than traditional academic periods and lockstep curriculum pacing.“ 1)
In Expertenkreisen werden die grundlegenden Schulstrukturen aufgrund des digitalen Wandels neu überprüft. Die Strukturierung der Schule entlang (a) der „Unterrichts-Stunde“, (b) der „Alters-Klassen“ und (c) der „Unterrichts-Fächer“ wird möglicherweise durchlässiger.
Auf die Frage, was die Chancen und Risiken der Umsetzung von einem „Ein-Computer-pro-Schüler/in“-Konzeptes sind, würden wir folgendermassen antworten: „Es verändert das Lehren und Lernen und die Schule.“
ICT-Schulentwicklung wird zu einem dynamischen, andauernden Prozess, der aufgrund des digitalen Wandels, der gesellschaftlichen Wertediversifizierung und der Politisierung des Themas Schule trotz Harmos und Lehrplan 21 immer schwerer planbar wird.
Für den Entwicklungsplan «Bildung im Netz» bedeutet dies: Die Nachhaltigkeit der ICT-Konzeption kann nur dann garantiert werden, wenn das Prozesshafte des Strukturwandels in die Schulentwicklung einbezogen wird und die Schul-IT dynamisch-mobil den sich wechselnden, kontextuellen Bedürfnissen der Schule angepasst werden kann. Ein Entwicklungsplan sollte deshalb regelmässig aktualisiert und den neuen Zielen und Kontexten angepasst werden. Die Planung und Konzeption der Schul-IT ist schwierig, da sie exponentielle technische Entwicklungen2) berücksichtigen soll. Die Ziele werden aufgrund der Erfahrungen und neuen Tatsachen immer wieder korrigiert werden.3)
Die schnellen exponentiellen technischen Entwicklungen haben zur Folge, dass neben der agilen ICT-Konzeption weiterhin regelmässig Investitionskosten im ICT-Bereich anfallen werden.
ICT-Schulentwicklung und ICT-Integration ist als Prozess zu verstehen und zu gestalten.
(Abb. 4.2 digital-sozio-kulturelle Räume, Facebook & Second Life)
In den 80er Jahren hat man den Computer als Werkzeug verstanden. Damals sprach man von EDV, sprach von Anwenderschulung und lernte programmieren. Mitte der 90er Jahren hat man gesehen, dass Computer nicht nur ein Werkzeug zur Bearbeitung digitaler „Texte“ sind, sondern auch als Medium eingesetzt werden können; seither spricht man von ICT. Und Medienbildung ist mancherorts ein eigenes Fach geworden. Ende der 00er Jahren wurde uns mit Facebook und Co. schlagartig klar, dass der Computer nicht nur als Werkzeug und nicht nur als Multi-Medium dient, sondern dass das Internet auch ein sozio-kultureller Raum darstellt.
In der Gesellschaft ist zu beobachten, dass digitale soziale Netze, Chats, SMS und virtuelle Welten aus dem Leben vieler Erwachsener und Jugendlicher nicht mehr wegzudenken sind.
In der Schule sind der Klassenraum und der Pausenplatz heute nicht mehr die einzigen sozialen Räume, in denen sich die Schüler/innen begegnen. Heute werden sie überlagert und erweitert durch digital-soziale Netzwerke, virtuelle Chat-Räume, etc. (Facebook, MSN, SchuelerVZ etc.).
Für die Schule stellt sich die Frage, wie sie mit dieser Entwicklung konstruktiv umgeht.
(Abb. 4.3 Personal Learning Environment mit mehrere ICT-Geräte)
Die Entwicklung von immer leistungsfähigeren und bedienerfreundlichen mobilen Geräten ist heute eine der wichtigsten Triebfedern der Computerindustrie.
In der Schweiz verfügt in der Zwischenzeit fast jeder Bürger über ein Mobiltelefon und die Wachstumszahlen für Smartphones sind enorm. Mit den Smartphones stehen den Menschen ein Computer zur Verfügung, mit dem sie jederzeit und überall Zugang zum Internet haben. Durch die Vielzahl verschiedenster Internet-fähiger Geräte nimmt auch die Anzahl der verschiedenen Betriebssysteme zu. Immer öfter wissen die Benutzter/innen nicht mehr, was für ein Betriebssystem in ihrem ICT-Gerät läuft.
Auch die Schulen sind im Zeitalter der mobilen Revolution angekommen. ICT-Geräte werden für die meisten Schüler/innen erschwinglich, allgegenwärtig und durchdringen alle Räume. Die Schulen schwanken zwischen Verbot und vorsichtiger Integration dieser mobilen ICT-Geräten. Erste Primarklassen werden als Pilotklassen mit Smartphones ausgerüstet.
Wir rechnen bis 2015 mit folgenden Verhältnissen5) von netzfähigen mobilen ICT-Geräten pro Schüler/innen:
Den Schulen bleibt in Zukunft die Aufgabe, Netzanbindung sowie Ein- und Ausgabegeräte (Scanner/Drucker, Wandtafeleingabe6)/Beamer, etc.) zur Verfügung zu stellen. Die Schulen müssen mit einer grossen Diversität und Heterogenität von verschiedensten digitalen ICT-Geräten und Betriebssystemen rechnen. Die IT-Infrastruktur und IT-Dienste der Schulen und des Kantons werden eine grosse Vielfalt von Systemen unterstützen müssen und deshalb grundlegend auf offenen Standards aufbauen müssen.
Welche Rolle die Schule zukünftig bezüglich der Beschaffung und Finanzierung der persönlichen7) mobilen ICT-Geräte spielt, ist eine offene Frage. Ein Verbot der Verwendung privater ICT-Geräte im Schulumfeld ist weder sinnvoll noch längerfristig durchzuziehen, die Herausforderung ist die Integration dieser Geräte in den Unterricht.
(Abb. 4.4 Schleichende Abstraktion, Quelle: www.aldobucchi.com Creative Commons (Some Rights Reserved))
All die wolkigen Begriffe, wie Cloud-Computing, Virtualisierung, Semantisches Web, Giant Global Graph (GGG)9) etc. sind in erster Linie Ausdruck einer fortschreitenden digitalen Abstraktion.
Alle Arten von Ressourcen (Computer, Rechenleistung, Speicherplatz, Netzwerke etc.) werden virtualisiert und dynamisch dort zur Verfügung gestellt, wo der Benutzer sie braucht. Man wird die Kontrolle an Softwaresysteme abgeben, die dynamisch und kontextspezifisch benötigte Ressourcen zur Verfügung stellen.
Auch das manchem „lieb-gewonnene“ Speichern, Umbenennen, Ordnen, Backupen - das „sich-um-Dateien-und-hierarchische-Ordnersysteme-kümmern“ - wird vermehrt von Software übernommen. In naher Zukunft werden ICT-Geräte die Daten dem Benutzer kontextspezifisch zur Verfügung stellen. Der Benutzer kann teilweise noch die Datenflüsse definieren: Sende alle Handyphotos an Wolke W. Wenn du Person X erkennst, sende ihr eine Kopie, wo immer sie auch ist.
Die Fragen, die den Endanwender beschäftigen werden, sind: Bei welchem Anbieter kann ich die benötigten Ressourcen abonnieren? Kann der Anbieter die Dienste zuverlässig anbieten und vertraue ich dem Anbieter? Unterstützten die angebotenen ICT-Dienste mein ICT-Ökosystem und meine ICT-Bedürfnisse? Und so weiter.
Die Schulen müssen entscheiden, welche dieser wachsenden Vielfalt von ICT-Dienstleistungen sie den Schülern/Schülerinnen und Lehrpersonen anbieten will.
(Abb. 4.5 Schulinfrastruktur nach V. Tscherter, B. Döbeli aus Educaguide Infrastruktur)
Egal ob zuhause, unterwegs, auf dem Pausenplatz oder im Unterricht, das was den Schülern/innen und Lehrpersonen als gemeinsamer kleinster Nenner immer zur Verfügung steht und sich in der Art und Weise der Benutzung nicht ändert, sind Internet-Dienste10) und Anwendungen11).
Die Gründe weshalb die Schulen immer mehr ICT-Dienste und Server auslagern sind vielfältig:
Je nach technischem Know-how kann die Schule entweder Software12), Plattformen13) oder Infrastruktur14) als einen Dienst der im Netz verfügbar ist einkaufen.
Der Aufwand eine eigene E-Learning-Plattform oder einen eigenen Datei-Server zu betreiben, ist für eine einzelne Schule oft zu gross oder es fehlt das technische Know-how. Die Infrastruktur oder sogar die Plattform als einen skalierbaren professionellen Dienst (IaaS / PaaS) einzukaufen, ist verlässlicher und kostengünstiger.
Auch für Schulen, die selbst Internet-Dienste anbieten (oder und entwickeln), lohnt es sich, diese auf externer Infrastruktur (IaaS) laufen zu lassen. Server-Infrastruktur kann heute als günstige skalierbare Dienstleistung eingekauft werden. Da Informatik nicht das Kerngeschäft der Schule ist, gibt es (sobald ein Glasfaseranschluss vorhanden ist) keine Gründe mehr, im Schulkeller eigene Internet-Dienst-und-Anwendungs-Server zu betreiben.
(Abb. 4.6 Entwicklung der Internetanbindung bis 2015 nach Nielson's Gesetz)
Der Wechsel der Internetanbindung von Kupfer (ADSL+Kabelnetz) auf Glasfaser (FTTx) ist ein Quantensprung in der Informationstechnologie. Über Glasfaseranschlüssen sind bis zu 1000-fache Bandbreiten zu heutigen Kupferanschlüssen möglich.
Im Kanton Zürich werden Glasfaseranschlüsse zu jedem Haushalt (FTTH) und schnelle Breitbandanschlüsse (VDSL) in den nächsten 5 Jahren weite Verbreitung finden. In den Städten Winterthur und Zürich sowie der Agglomeration von Zürich ist die vollständige Verkablung zu allen Gebäuden mit Glasfaser geplant und teilweise bereits in Umsetzung15).
Für Schulen beginnen die Glasfaserangebote (z.B. SAI Extra) bei ca. dem 10-fachen der heute in den Schulen üblichen Bandbreite (50/10 MBit/s statt 6/0.6 MBit/s). Diese Entwicklung geht weiter; die verfügbaren und bezahlbaren Bandbreiten werden in den nächsten Jahren kontinuierlich exponentiell ansteigen. Die Erwartungen gehen von mindestens einer Verdoppelung der Bandbreite alle 2 Jahre (siehe Nielson's Gesetz 16)) bis zu einer möglichen Verdoppelung der Bandbreite bei Glasfasernetzwerken alle 9 Monate (siehe Butters' Gesetz17) ).
Für die Schulen bietet diese Entwicklung die Chance zu überdenken, wie sie technisch vernetzt und ans Internet angebunden sein wollen.
(Abb. 4.7 Medien sind digital)
Heute werden Unterrichtsmaterialien von Lehrpersonen oder Lehrmittelverlagen fast ausschliesslich am Computer erstellt, d.h. sie sind prinzipiell digital vorhanden. Der Grossteil dieses Unterrichtsmaterials findet heute in Papierform (als Ausdruck, Photokopie oder Buch) den Weg ins Klassenzimmer. Die gute Lesbarkeit, hohe Verfügbarkeit, niedrigen Kosten und die einfache Handhabung sind dafür verantwortlich, dass Papier heute in der Schule das dominierende Ausgabemedium ist und mit grosser Wahrscheinlichkeit noch einige Jahre bleiben wird. Allerdings werden gerade, wenn es um die verschiedenen Lernkanäle (Audio/Video) geht, andere Ausgabemedien wie Tablets, Netbooks, Smartphones, etc. weiter an Bedeutung gewinnen.
Nicht nur im Buchhandel ist die Umstellung auf digitale Medien zu beobachten, auch bei den Lehrmittelverlagen wird intensiv an den notwendigen Konzepten und der Umstellung zum digitalen Buch gearbeitet. Bis 2015 dürften die (Lehrmittel-) Verlage für die Berufsbildung und die Mittelschulen vermehrt digitale Unterrichtsmaterialien anbieten. Auf der Volksschulstufe ist ein grosses Engagement im Bereich der Online-Publikation von Zusatzmaterialien für Lehrmittel zu beobachten.
(Abb. 4.8 Medienpartizipation ist Kernkompetenz)
Aktive Medien-Mitgestaltung ist seit Jahren eine der drei Eckpfeiler der Medienbildung 18), diese fordert im digital-interaktiven Multi-Medium neue Kompetenzen. Diese Kompetenzen sind heute nicht nur zentral für die Medienbildung sondern für jegliche Form der Zusammenarbeit.
Die Kompetenzen der Medienpartizipation 19) können so zusammengefasst werden:
Niemand, der die kollektive Wissenskonstruktion und Mediengestaltung aus der Berufspraxis kennt, kann sich vorstellen, dass in den Schulen von morgen weiterhin meist individuell und unvernetzt Text und Wissen produziert werden soll. Zur digitalen kooperativen Textproduktion gehört das Verständnis der verschiedenen Aspekte der Versionierung und Online-Zusammenarbeit. Das Arbeiten mit Wikis oder Wolken-Textverarbeitungen sind erste Schritte in diese Richtung.